Umstrittene Änderungsentwürfe zur Strafprozessordnung

Derzeit liegen zwei gesonderte Änderungsentwürfe zur Strafprozessordnung und zu anderen Gesetzen vor, die sich derzeit in der Gesetzgebungsarbeit befinden und die unter anderem darauf abzielen, die Standards im Zusammenhang mit der Anwendung der Untersuchungshaft zu erhöhen und vor allem ihren Missbrauch einzudämmen, was definitiv eine richtige Initiative ist. Einer der Gesetzentwürfe wurde vom Justizminister eingereicht, der andere von einer Gruppe von Abgeordneten.

Leider enthalten beide Projekte auch fehlerhafte Lösungen, die auf offensichtlich falschen Annahmen beruhen. Dabei handelt es sich um die in den einzelnen Änderungsanträgen vorgesehene Verpflichtung von Anwälten und Rechtsberatern, im Wechselschichtdienst zu arbeiten. Vertreter dieser Berufsgruppen müssen während dieser Zeit für die Verteidigung von Personen bereit sein, gegen die ein Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt wurde. Aus der Perspektive der heutigen Standards und der Realität der Ausübung dieser Berufe erheben sich zwei Elemente zu grundsätzlichen Einwänden.

Erstens wurde in keinem der Projekte die Spezialisierung berücksichtigt, die sich in beiden Berufen im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat. Eine erhebliche Zahl von Anwälten und Rechtsberatern hat in ihrer langjährigen Berufslaufbahn keine Strafsachen bearbeitet. Im Ergebnis bekunden die Autoren des Gesetzentwurfs ihre Bereitschaft, das Ziel einer Erhöhung des Schutzstandards für Personen, gegen die ein Antrag auf vorläufigen Haftantritt gestellt wurde, zu erreichen. Dazu schlagen sie vor, dass die obligatorischen Dienstschichten unter anderem von Anwälten durchgeführt werden sollen, die weder über die entsprechenden Kenntnisse noch Erfahrungen in Strafsachen verfügen und den Verdächtigen deshalb keinen professionellen Rechtsbeistand garantieren können. Die Autoren des Gesetzentwurfs wollen erreichen, dass künftig etwa Spezialisten für Steuerrecht, Arbeitsrecht, Immobilienrecht oder Immaterialgüterrecht in Sorgerechtsfällen als Verteidiger eingesetzt werden. Es wäre, als würde man Ärzten generell entgegenkommen – u. a. Augenärzte, Geriater oder Orthopäden – verpflichtend in Entbindungsstationen eingesetzt zu sein und damit zu behaupten, dass den Patientinnen eine hohe medizinische Versorgung geboten werde. Das Konzept ist daher per Definition fehlerhaft.

Nicht weniger realitätsfern ist auch die zweite fragwürdige Annahme der Projekte. Diese Pflichtbereitschaftsleistungen der Rechtsanwälte und Rechtsberater sind unentgeltlich zu erbringen. Ein Anspruch auf Vergütung für die Verteidigung besteht für den Rechtsanwalt/Rechtsberater nur dann, wenn eine solche Situation während der Rufbereitschaft eintritt. Warum für die bloße Übernahme von Rufbereitschaftsdiensten keine Vergütung erfolgt, ist nicht bekannt. Rechtsanwälte und Rechtsberater sind keine Amtsträger. Sie üben ihre Berufstätigkeit einzeln oder in Form einer Personengesellschaft aus und betreiben eine gewerbliche Tätigkeit und tragen die damit verbundenen Kosten selbst. Und erst recht besteht kein Grund, ihnen zusätzlich die Verpflichtung aufzubürden, unentgeltlich Rufbereitschaftsdienste zu leisten. Die Verpflichtung zur Rufbereitschaft hat Auswirkungen auf den Berufs- und Privatalltag. Die Notwendigkeit, verteidigungsbereit zu bleiben – und das auch an Terminen, auf die man keinen Einfluss hat – wird einerseits die Möglichkeit der Freizeitgestaltung, auch etwa von Familienausflügen, einschränken, andererseits aber häufig mit den beruflichen Pflichten eines solchen Unternehmers in seiner Kanzlei kollidieren und jedenfalls immer eine konkrete Planung der beruflichen Tätigkeiten am Diensttag bedingen.

Es ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der zur Rufbereitschaft verpflichteten Rechtsanwälte und Rechtsberater, die sich nicht täglich beruflich mit dem Strafrecht befassen und deshalb ihrer Verpflichtung zur Verteidigung ihrer potentiellen Mandanten in Sorgerechtsfällen nicht ordnungsgemäß nachkommen können, ihre Vertretung im Rahmen der Rufbereitschaft notgedrungen anderen Rechtsanwälten und Rechtsberatern anvertrauen wird, und zwar solchen, die sich beruflich mit derartigen Fällen befassen. Dies hat zur Folge, dass die Kosten für die Durchführung von Bereitschaftsdiensten, die vom Staat als der für die Gewährleistung angemessener Standards bei der Achtung der Menschenrechte verantwortlichen Institution getragen werden sollten, größtenteils auf Anwälte und Rechtsberater übertragen werden.

Mit der Einführung einer Rufbereitschaftsvergütung ließe sich daher ganz selbstverständlich das Problem lösen, dass Personen, die sich in ihrer Praxis nicht mit Strafsachen befassen, ihren Pflichten als Verteidiger nicht ordnungsgemäß nachkommen können. Im Falle der bezahlten Rufbereitschaft käme es zu derselben Situation wie bei der sog. Angelegenheiten von Amts wegen. Diese Aufgaben können von Personen aus dem Kreis der auf Strafsachen spezialisierten Anwälte und Rechtsberater freiwillig wahrgenommen werden. Nur so ließe sich das erklärte Ziel der Regelung erreichen, nämlich die Standards im Bereich der Verteidigungsrechte in Haftfällen tatsächlich anzuheben.

 

Autor:

Michał Wojtyczek

 

Dieser Eintrag enthält allgemeine Informationen zum behandelten Rechtsthema. Es handelt sich nicht um eine Rechtsberatung oder Lösung eines konkreten Falles oder Rechtsproblems. Aufgrund der Einzigartigkeit jedes Sachverhalts und der Variabilität der Rechtslage empfehlen wir, sich rechtlich von unserer Kanzlei beraten zu lassen.

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